Den Weihnachtsmann gibt's doch gar nicht! Sollten wir unsere Kinder "anlügen"?

Zuerst einmal wünsche ich euch allen einen wunderbaren Nikolaustag und eine schöne und besinnliche Weihnachtszeit!
 
In diesem Artikel geht es um den Vorwurf, Kinder "anzulügen", weil man ihnen vorgaukelt, dass es den Weihnachtsmann, Nikolaus oder wen auch immer gibt. Doch ist das ein berechtigter Vorwurf? Sollte man "dieses Spielchen" lieber sein lassen? 

Bevor wir beginnen möchte ich dich zu einem kleinen Experiment einladen: 
geh gedanklich in deine Kindheit zurück und erinnere dich an dieses wundervolle Gefühl von Magie, Vorfreude, Heimlichkeit und Überraschung. Hast du es? Hättest du gern auf dieses Gefühl verzichtet? 
Ich meine damit nicht die Angst, die vielleicht ebenfalls dabei war, weil die Erwachsenen in deinem Leben diese Figuren zur Verhaltensoptimierung eingesetzt haben und dich damit zu bravem Verhalten nötigen wollten. 
Ich meine dieses wohlige Gefühl, das so ziemlich jede bereichernde Funktion eines Rituals mitbrachte: Orientierung, Sicherheit, dass etwas Schönes passieren wird, Gemeinschaft (wir glauben gemeinsam an etwas), Freude, Werte und Wertschätzung, Besonderheit. 
Ich bin kein Freund von Lügen. Aber für mich ist die Magie eines schönen Rituals auch keine Lüge!

In meiner Familie lebt in der Vorweihnachtszeit immer noch jemand ganz besonderes, unser Weihnachtself. Er treibt Schabernack, hilft die Neugier aufzubauen, morgens unbedingt aufstehen zu wollen und zu schauen, wo er wohl heute sitzt und was nun wieder passiert ist. Heute, zum Nikolaustag, fährt er mit unserer Teekanne Kanu...

Immer wieder höre ich dazu die Frage, ob meine Kinder nicht langsam zu alt sind für "solche Spielchen". Stimmt, meine Kinder sind nicht mehr im Kindergartenalter, sondern schon am Ende ihrer Grundschulzeit und doch kann ich sagen, dass sie dieses Ritual in der Vorweihnachtszeit lieben. In den letzten Jahren haben sie so manchen Verdacht geäußert, dass es den "Elferich" nicht gibt. Und doch haben sie "ihn" verteidigt, wenn jemand aus ihrem Freundeskreis behauptet hat, dass er ausschließlich eine Puppe sei. "Es ist mir egal, was du darüber denkst. Für mich ist er echt und ich finde es gut!", war die Antwort meiner Tochter, als sie freudestrahlend und stolz ihre Freundin mit nach Hause brachte, um ihr unseren Elf zu zeigen. Am Abend dann war sie traurig über die fehlende Fantasie und Offenheit sich auf das Wünschen und Staunen einlassen zu können und dass es ihrer Freundin wichtiger war Recht zu behalten und "erwachsen" zu denken. Ich habe meinen Kindern nie gesagt, dass es den Weihnachtsmann gibt und ich habe nie gesagt, dass es ihn nicht gibt. Ich habe ihnen gesagt, dass ich es nicht so wichtig finde, was andere darüber glauben. Sondern dass es für mich nur wichtig ist, wie wir in unserer Familie damit umgehen. Ich sage ihnen, dass ich es einfach nur schön finde und dass es sie alle (die magischen Figuren der Sagen und Mythen und Weltanschauungen) in meiner Welt gibt, denn diese positiven Gefühle gefallen mir besser, als schnödes Dahinleben ohne diese Figuren.
Seit Jahren lebt der kleine Elf schon bei uns. Jedes Jagr vom 1.12 bis 24.12. Er kam schon so manches Mal mit in den Weihnachtsurlaub. Und ich genieße die kleine Magie im Alltagstrott und die witzigen Reaktionen meiner Kinder. Von meiner Tochter weiß ich, dass sie nicht mehr an ihn glaubt. Sie sagte, sie wüsste, dass ich ihn verschwinden lasse und ihn am Morgen neu aufstelle. Aber das ist ihr egal. Sie liebt es, dass ich mir so viel Mühe gebe, um ihnen jeden Morgen eine kleine Freude zu bereiten. Und sie freut sich über die Begeisterung ihres Bruders. Und auch er sieht, dass es eine Puppe ist, dass Klebestreifen im Einsatz ist. Aber auch er findet das alles nicht wichtig. Denn er hält sich ebenfalls lieber an die Magie und die kleinen verbindenden Momente, die der kleine Elf täglich mit sich bringt.
Finde ich also, dass ich meine Kinder anlüge? Nein. Ich freue mich, dass ich ihnen dieses besondere Gefühl schenken darf, dass sie diese Zeit genießen und weiter einfordern. Dass wir ein Familienritual entwickelt haben, dass uns allen Freude bereitet. Ich bin stolz darauf, wie viel Kreativität und Vorstellungskraft wir uns gegenseitig schenken. Und dass wir dadurch Gemeinschaft und schöne Alltagsmomente kreieren. Das alles ist für mich nicht gelogen. Ich denke, dass wir alle Bescheid wissen und uns dafür entschieden haben daran festzuhalten. Außerdem wird keines meiner Kinder einen psychischen oder körperlichen Schaden davon tragen, nur weil sie von mir diese Geschichten, Aufmerksamkeit und schönen Gefühle vorgelebt bekamen. Stattdessen fühlen sie sich beschenkt, geliebt und fröhlich. Was sollte daran falsch sein? Und auch das Wort "Lüge" ist nicht berechtigt, wie ich finde. Klar sind alle Tatbestände einer Lüge vorhanden. Doch ist eine Lüge irgendwie stark negativ besetzt und sehr moralisiert. Ich bin jemand, der versucht, sehr nach seinen Werten zu leben. Und einer dieser Werte ist Ehrlichkeit. Für mich befinden sich Werte jedoch in einem Kontinuum. Und in diesem Verständnis bedeutet es, dass ich nicht lüge, wenn ich sage, dass ich den Gedanken an einen magischen Weihnachtself schön finde und dass ich, so lange es mich glücklich macht, nichts daran verkehrt finde, dass wir diese Tradition in unserer Familie leben. Auch im alltäglichen Zusammenleben finde ich, dass Ausschmückungen, Auslassungen und die Darstellung des eigenen Verstehens nicht zwangsläufig als Lügen betrachtet werden sollten. Dahinter steckt eher die Frage nach dem Warum, die dann geklärt werden sollte. Doch wenn wir es ganz genau nehmen, dann sind genau diese Vorgehensweisen zutiefst menschlich und in unserer Wahrnehmungsphysiologie verankert. Das soll natürlich keine Entschuldigung sein. Doch gibt es in meinen Augen immer Unterschiede in den Intentionen (den Gründen für mein Handeln), dazwischen, ob ich eine Heimlichkeit plane (Überraschung) oder etwas verheimliche, um selbst besser da zu stehen.

Wir staunen viel zu selten, leben in unserer Gesellschaft so stark verkopft. Da ist es erholsam etwas Magie ins Leben zu lassen. Ich halte es mit meiner Tochter, dass ich es schade finde, wenn wir das Staunen und Wünschen, das Träumen und die Freude aufgeben sollen, nur um rational zu denken und nicht zu glauben.

Also wünsche ich euch allen eine magische Zeit, voller Staunen, Wertschätzung, Zeit füreinander und Verbundenheit. Ich liebe diese Zeit, liebe die Lichter, den heißen Tee, das Funkeln in den Augen meiner Kinder, ihre Liebe für Weihnachtslieder und Rituale. Das lasse ich mir nicht nehmen, nur weil ich weiß,  dass ich den kleinen Elf verstecke, die Nikolaussachen in die Stiefel gesteckt habe und wie jedes Jahr am Heiligabend ein Tablett mit Keksen, Kakao und einem Dankesbrief für den Elf in die Küche stelle. Genauso wie ich diejenige sein werde, die den Antwortbrief für die Kinder hinterlässt und genüsslich in den Keks beißt, auf dass er Krümel hinterlässt.


Kommentare

  1. Dann sind wir schon zu zweit, ich liebe auch die Kekse zu essen und die Milch zu trinken und voller Kreativität die Antwortbriefe zu schreiben...✍

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