Die psychischen Grundbedürfnisse verstehen I
Alles was wir tun, findet in einem Balanceversuch zwischen diesen vier Bedürfnissen statt. Und wir alle bewegen uns zu jeder Zeit zwischen diesen Aspekten. Nun hat jede/r eigene Schwerpunkte und Wege gefunden sich in diesem Feld zu bewegen. Und diese Strategien sind immer der Versuch, sich innerhalb einer Situation auf die aktuell bestmögliche Art zu verhalten. Genau das bedeutet, wie oben angeführt, dass die Strategie zum Zeitpunkt des Erlernens sinnvoll und wirksam war (sonst hätten wir sie nicht gelernt!). Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Strategie der Bedürfniserfüllung heute noch sinnvoll ist. Ein kurzes Beispiel bevor ich knapp auf die einzelnen Bedürfnisse eingehen will.
Stell Dir vor, ein Kind hat gelernt, dass es Anerkennung von seinen Eltern erhält, wenn es im Haushalt hilft und gute Noten aus der Schule mit heim bringt. Leider reagieren die Eltern in Situationen, in denen das Kind anders handelt, als es den Eltern gefällt eher ablehnend und die Mutter zeigt dies regelmäßig durch einen kurzen Abbruch in der Kommunikation, weil sie enttäuscht ist. Bei dem Kind kommt an "Wenn ich so handle, wie ich es für richtig halte, dann kann es passieren, dass Mama und Papa mich nicht mehr lieb haben!" und das macht Angst. Um dieser Form von Ablehnung und Liebesentzug aus dem Weg zu gehen, weil das damit einher gehende Gefühl so blöd ist und weh tut, richtet das Kind seinen Fokus auf die Handlungen, durch die es Anerkennung erhält und Ablehnung vermeiden kann. Es hilft im Haushalt und strengt sich in der Schule noch mehr an, um gute Noten zu erhalten. Es trägt so zur Harmonie innerhalb der Familie bei (was nebenbei gar nicht seine Aufgabe wäre!). Seine Strategie ist demnach, viel dafür zu tun, um von außen das Gefühl zu erhalten "gut zu sein" und den Erwartungen anderer zu entsprechen, weil es so "geliebt" wird und ein sehr unangenehmes Gefühl vermeiden kann. Als Erwachsener bleibt diese erlernte Strategie bestehen. Schließlich hat sie in Kindertagen und bis heute meist gute Ergebnisse erzielt. Nun ist es aber so, dass dieser Mensch nicht gelernt hat, sich aus sich heraus für Leistung zu motivieren, sondern immer noch alles dafür tut, es den Eltern, dem Partner, den Vorgesetzten etc. recht zu machen. Vielleicht geht es sogar so weit, dass er nicht mehr spüren kann, was er selbst gerne machen möchte und so landet er im heute immer häufiger anzutreffenden Burn out oder Boreout. Er hat gelernt, dass er das, was für ihn richtig ist auf Ablehnung stößt und hat es in sich versteckt. Das macht in der Tiefe unglücklich und unzufrieden. Er fühlt sich falsch. Seine Strategie ist heute nicht mehr hilfreich. Aber sie passiert weiterhin aus guter Absicht. Und zwar für eine Selbstwerterhöhung und einem, wenn auch nur kurzen Gefühl von Anerkennung und Lob. Du siehst, dass die einstige sinnvolle Strategie, um diese Situation in der Kindheit "unbeschadet" zu durchleben, kann im Erwachsenenalter zu Schwierigkeiten und ungünstigem Verhalten führen. Dennoch geschieht es aus gutem Grund. Und so ist es mit allem was wir tun. Jede Handlung und jedes Verhalten geschieht, um im Geflecht der Bedürfnisse eine möglichst gute Grundlage zu schaffen. Das bedeutet für uns hier auf diesem Blog, dass wir uns dieses Wissen zu nutze machen können, wenn wir kindliches Verhalten, aber auch unser eigenes Verhalten verstehen lernen wollen.
Für heute möchte ich nur ganz knapp auf die vier psychischen Bedürfnisse eingehen. Im nächsten Artikel kannst Du dann etwas tiefer in die Thematik eintauchen.
1) Bindung/Sicherheit
Unser erstes psychisches Grundbedürfnis, mit dem wir auf die Welt kommen, ist das der Bindung und Sicherheit. Alle Babys sind darauf angewiesen von ihren Bezugspersonen versorgt zu werden und in Sicherheit zu sein. Ich möchte hier noch gar nicht so tief einsteigen, aber sicher hast Du davon gehört, dass es unterschiedliche Bindungstypen gibt, je nachdem, wie es den Bezugspersonen gelungen ist auf die Äußerungen des Säuglings einzugehen.
2) Autonomie/Kontrolle
Umso älter das Kleinkind wird, desto mehr interessiert es sich auch für seine Umgebung. Es ist mit einer natürlichen Neugier ausgestattet und möchte herausfinden, was da alles so spannendes zu entdecken ist. Dafür muss es sich aus dem engen Kontakt mit der Bezugsperson lösen und auf Entdeckungsreise gehen. Und hier kommt ein Bedürfnis ins Spiel, dass der Bindung entgegengesetzt ist, die Autonomie. Sie ist auf unterschiedliche Weise von der Persönlichkeitsstruktur des Kindes abhängig, aber auch in größem Maße von der Bindung zu seinen Bezugspersonen. Autonomie hat viel damit zu tun, selbständig, aktiv und unabhängig zu agieren.
3) Selbstwerterhöhung (Anerkennung)
Jeder Mensch möchte immer möglichst gut da stehen. Da wir Bindungswesen sind, ist es unausweichlich möglichst anerkannt in der Gruppe zu sein und nicht ausgestoßen zu werden. Das Wort Selbstwerterhöhung
lässt erkennen, dass es etwas mit unserem Selbstwert oder besser gesagt, mit unserem Selbstwertgefühl zu tun hat. Worin der Unterschied besteht findest Du dann im zweiten Artikel zu diesem Thema.
4) Lustgewinn und Unlustvermeidung
Wir alle streben danach Dinge und Situationen zu schaffen, die uns gute Gefühle bereiten, in denen wir uns richtig, sinnvoll, wirksam und wohl fühlen. Sachen, die diese Zustände nicht in uns auslösen, versuchen wir hingegen zu vermeiden. Beängstigende oder schmerzhafte Situationen wollen wir, wenn möglich, nicht erfahren. Anstrengen wollen wir uns ebenfalls nicht unbedingt gern und wenn möglich, dann sollte alles ganz leicht gelingen.
Lass uns das in weiteren Artikeln genauer anschauen!
Buchempfehlung: Stefanie Stahl
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