Sprich über dich

Der Titel des heutigen Posts sagt bereits aus, was dir hilft, mit anderen Menschen in Verbindung zu sein. Aus der gewaltfreien Kommunikation kennst du ganz sicher die sogenannten Ich-Botschaften. Bei ihnen geht es darum in seinen Aussagen bei sich und seiner eigenen Wahrnehmung und seinen Gedanken und Gefühlen zu bleiben und von sich zu berichten. In meinen Augen ist das etwas, was unserer Welt so grundlegend fehlt. Die Tatsache, dass Menschen von sich erzählen und bei sich sind. Damit meine ich nicht die Erzählungen, mit denen wir uns profilieren wollen, uns gut darstellen wollen oder in denen wir uns über das Leben beklagen. Diese Ausführungen haben zur Grundlage, dass wir von "uns" ablenken und unseren Fokus auf gefärbte Ideen richten. Das, was unserem Umgang miteinander fehlt, ist die Erzählung über uns: wie wir wahrnehmen, was es in uns auslöst und was wir uns wünschen. Uns fehlt der Austausch über uns. Doch nur, wenn ich meinem Mitmenschen davon erzähle, was ich fühle, was mich bewegt, was es mit mir macht, was ich brauche, gebe ich ihm die Möglichkeit damit umzugehen. Ich schenke mir das ehrliche Ansehen meiner Position und ihm die Möglichkeit, darauf reagieren zu können. Gerade wenn es dabei um das Zusammensein mit Kindern und Jugendlichen geht, schenken wir ihnen etwas, was sie für ihr gesamtes Leben nutzen können: Worte, um sich auszudrücken, sich selbst zu verstehen und sich verständlich zu machen, die Gewissheit alles ansprechen zu dürfen und Empathie. 



Wenn du mit deinem Kind darüber sprichst, wie du dich fühlst, was das in dir auslöst, was du dir wünscht, dann hilfst du ihm Worte für seine Wahrnehmung von dir zu erhalten, aber auch Worte für seine eigenen Gefühle und inneren Bewegungen zu finden. Du gibst mit deinem Vorbild das Vertrauen, dass dein Kind über sich und seine Gefühle sprechen darf und dass auch Gefühle ok sind, die sich nicht so schön anfühlen. Und du gibst ihm damit die Chance sich in Empathie zu üben, vereinfachst ihm den gedanklichen und emotionalen Zugang zu deiner Erlebenswelt. Was für ein wundervolles Geschenk! Wie wertvoll. Carl Rogers beschrieb die Basis pädagogischer Grundhaltung aus den 3 Werten "Akzeptanz/ Wertschätzung, Kongruenz und Empathie". In meinen Augen sind das nicht nur wichtige Einstellungswerte für Pädagog*innen, sondern prinzipiell wichtige Werte im Umgang mit Menschen. Du kannst dir sicher vorstellen, dass diese Form der Kommunikation und Haltung absolut verbindend ist. Sie stellt quasi eine Brücke zwischen zwei Wirklichkeitswelten/ zwei verschiedenen Menschen her. Und sie verkleinert trennende Interpretationswelten, in denen beide Seiten für sich bleiben, jeder in seinem "Emotionskäfig", in dem so schnell Missverständnisse und Zuschreibungen in Bezug auf unser Gegenüber entstehen. Was meine ich damit? Alles was wir wahrnehmen wird blitzschnell von uns mit bisher gemachten Erfahrungen verknüpft. So schnell, dass das nicht unser Bewusstsein erreicht, wir es also auch nicht bewusst steuern können. Innerhalb dieses Abgleichungsprozesses wird entschieden, ob die Information gerade wichtig ist oder nicht. Wie gesagt, davon bekommen wir wirklich nichts mit. Du kannst dir sicher vorstellen, dass es große Unterschiede dabei macht, ob ich vor allem gute Erfahrungen mit meinem Kind und/oder einer vergleichbaren Situation habe, oder ob ich vor einem Verhalten stehe, das mir noch nie gefallen hat. Oder aber eine alte Wunde wird von diesem Verhalten wieder angerührt und die (noch immer unbewusste) Erinnerung schmerzt, macht dich wütend. Das entscheidet, woran meine neue Wahrnehmungsinformation anknüpfen kann. Diese Erfahrungen werden, wie gerade angemerkt, ebenso schnell mit dazugehörigen Emotionen verknüpft und die strömen dann durch unseren Körper. Die darauffolgende Reaktion löst dann wiederum eine ebenfalls gefärbte Reaktion im Kind aus. Und schon befinden wir uns gemeinsam in einem Wirbel aus Interpretationen und Emotionen, die nur wenig mit der aktuellen Situation zu tun haben (müssen). Bleibe ich bei mir, spüre mal hinein, was da gerade in mir ausgelöst wird, welches Gefühl/ welche Gefühle da durch mich wabern und versuche diese Eindrücke in Worte zu formen, dann helfe ich mir, meinem Kind und unserer gemeinsamen Beziehung, denn ich helfe uns dabei zu verstehen, was gerade passiert. Ich spüre, aber ich lasse mich nicht mitreißen. "Oh, da ist Wut, weil das gerade passiert ist. Das macht mich wütend. Als du das gemacht hast, hatte ich das Gefühl, dass es dir egal ist, was ich möchte. Darüber bin ich wütend geworden." Keine Anklage, keine Raserei, die Angst und Angriff für mein Kind bedeuten. 

Gelingt das immer? Blödsinn. Das ist echt krasser Scheiß! (Bitte entschuldige!🤭) Aber du kannst dir hoffentlich vorstellen, wie viel Kraft das für eure Beziehung beinhaltet. Gelingt das nicht in der Situation, dann ist das überhaupt nicht schlimm. Denn du hast immer alle Zeit, die du brauchst, um über Geschehenes nachzudenken. Sprich später mit deinem Kind und berichte, was die Situation mit dir gemacht hat. Hauptsache du sprichst darüber und bleibst bei dir und deinem Wahrnehmungs- und Interpretationsprozess. So kannst du zeigen, dass auch Erwachsene Fehler machen, dass sie falsch reagieren können. Du zeigst aber auch, dass man sich dafür entschuldigen kann. Und dass es gar nicht das Kind war, was dich wütend gemacht hat, sondern die Situation und deine Interpretation dieser. Das entlässt das Kind aus der Verantwortung für deine emotionale Reaktion. Es nimmt die Schuldfrage raus. Auch du bist nicht schuldig. Du hast reagiert, wie deine Erfahrungen und Reaktionsmuster es zuließen. Aber auch wenn Schuld nicht die Frage ist, dann ist dennoch die Verantwortung bei dir, dir deine Erfahrungen, Interpretationsmuster und Reaktionsweisen anzuschauen und immer wieder zu üben, Perspektiven zu wechseln, Abstand zwischen den "Reiz" und die Reaktion zu bringen und in deinen Geschichten Ordnung zu machen. Ich meine aber auch insgesamt das Sprechen über sich selbst, nicht nur dann, wenn wir von unseren Emotionen überrannt zu werden scheinen. Das darf auch einfach so passieren. Berichte von dir. Benenne auch schöne Gefühle, sprich zum Beispiel darüber, wie es sich für dich anfühlt, wenn ihr kuschelt. Wie geht es dir dann? Dafür darfst du lernen mit dir und deinem Erleben immer mehr in Verbindung zu sein. Auch das ist etwas, was einige Übung gebrauchen könnte. Das Gute daran ist aber, dass du durch diese Übung eben auch immer "kongruenter" werden kannst. Also viel mehr spüren kannst, wie es dir wirklich mit Dingen, Situationen und Verhaltensweisen geht und dazu passend reagieren kannst. Denn mal ehrlich, die Art deiner Reaktion passiert als erstes auf der körperlichen Ausdrucksebene. Wenn dein Gefühl also etwas anderes aussagt, als das, was du in Worte fasst, dann bist du nicht kongruent oder authentisch, denn dein Körper hat bereits lange schon darauf reagiert. Und das verwirrt die Menschen, die das erleben. Klare Kommunikation startet damit, dass du spürst, was in dir passiert und das spricht lauter, als deine Worte es können.

Vielleicht hast du Angst davor, weil du gelernt hast, dass du dich angreifbar und verletzlich machst, wenn du über deine Gefühle sprichst. Darüber sprechen wir im nächsten Beitrag.

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