psychische Grundbedürfnisse III
Im ersten Teil dieser Reihe habe ich Dir kurz angerissen, worum es bei den psychischen Grundbedürfnissen geht. Im zweiten Teil hast Du dann erfahren, was genauer hinter den Bedürfnissen Bindung und Autonomie steckt. Heute geht es um die beiden anderen, nicht minder wichtigen Bedürfnisse in der Liste: Selbstwert und Lustgewinn/ Unlustvermeidung.
Ich möchte zu Beginn noch einmal wiederholen, dass alle vier psychischen Grundbedürfnisse jederzeit ein individuelles Ranking in dir, aber auch jeder anderen Person führen. Wir alle haben diese vier Bedürfnisse und haben einfach nur unterschiedliche Ausprägungen und Strategien entwickelt, um sie zu deckeln.
Selbstwert: Sicher hast Du schon mal jemanden gehört, der von sich selbst sagt, dass er einen schlechten Selbstwert hat. Oder aber Du selbst bist dieser Meinung. Dann darf ich Dir berichten, dass das nicht möglich ist! ;) Wir alle haben einen unantastbaren Wert. Allerdings ist unsere Connection zu diesem Wert sehr unterschiedlich ausgeprägt. Das bedeutet, dass nicht Dein Selbstwert "schlecht" ist oder klein, sondern Dein Selbstwertempfinden oder Selbstwertgefühl. Es geht also um eine subjektive Einschätzung Deines eigenen Wertes. Diese Einschätzung entsteht durch unterschiedliche Prozesse, z.B. durch die Rückmeldungen aus deiner Umgebung (vor allem die frühen Rückmeldungen über Deine Person und Deine Fähigkeiten), zu denen auch die nonverbalen Rückmeldungen gehören. Also auch jedes (vermeintliche) Augenrollen, schwere Atmen, nicht Reagieren Deiner Bezugspersonen, hat Dir als Kind (und natürlich auch heute noch) eine Information über Deine Person gegeben. Auch wie Deine Persönlichkeit gestrickt ist, entscheidet schon früh darüber, wie Du die Reaktionen auf Dich bewertest und interpretierst. Nun ist es in uns allen angelegt, dass wir darauf ausgerichtet sind immer möglichst gut vor anderen und uns selbst da zu stehen. Das liegt in der Natur der Menschlichkeit, denn wir sind "Herdentiere", die darauf angewiesen sind in einer sozialen Gruppe eine möglichst gute Position einzunehmen. Und genau darum geht es bei diesem Bedürfnis. Darum unseren Selbstwert zu schützen und unser Selbstwertempfinden anzuheben. All das ist Dir sicher unter dem Begriff "Anerkennung" besser bekannt. Wir alle machen täglich vieles (vor allem unbewusst) dafür, dass wir die Anerkennung anderer erhalten. Wir suchen nach Lob, Bestätigung, Zugehörigkeitsgefühlen, Bedeutsamkeit. Die meisten Menschen haben im Zuge ihrer Entwicklung gelernt ganz stark nach dieser "Selbstwerterhöhung" im Außen zu suchen. Also möglichst positives Feedback von anderen zu erhalten. Denn wir sind mit diesen "extrinsischen Motivatoren" (von außen wirkende Motiavtionen) aufgewachsen. Wir haben meist gar nicht gelernt, oder früh verlernt, uns selbst zu motivieren, uns gut zuzureden und uns zu vertrauen. Junge Kinder können das oft noch auf so wundervoll bezaubernde Weise: "Das habe ich so toll gemacht- guck mal!" Kommt Dir da auch direkt dieser Satz in den Kopf: "Eigenlob stinkt!". Ich finde es so schade, dass ich mit diesem Satz aufgewachsen bin und dass er lange so normal und gesellschaftsfähig für mich erschien. Heute trainiere ich diese Form der Selbstbestätigung und ich kann Dir sagen, das fühlt sich echt strange an und kostet mich immernoch manchmal Überwindung. Aber es lohnt sich! Vielleicht magst Du Dich mal mit dem Thema Motivation auseinandersetzen, dann wirst Du schnell feststellen, dass all diese äußere Form (Lob, Bewertungen von Leistung und Handlungen) keine wirkliche Anerkennung und Belohnung darstellen kann. Wenn Du Dein Kind und Dich auf eine zuträgliche Art begleiten möchtest, dann schaffe immer mehr Raum dafür die eigenen Erfolge zu feiern, sich über Fehler genauso zu freuen und "Unfälle" (z.B. das verschüttete Wasser auf dem Esstisch) als normal und geschehen anzusehen und Dich darüber zu freuen, dass Dein Kind dadurch weniger Angst hat Fehler zu machen und dennoch erfährt, was eben passiert, wenn es unaufmerksam gegen das Wasserglas stößt. Es kippt und das Wasser läuft aus. Fertig! Mehr passiert nicht. Lasst uns mehr darauf achten, wie wir auf das Selbstwertempfinden der Kinder, die wir ins Leben begleiten Einfluss nehmen und lasst uns dafür Verantwortung übernehmen, dass sie sich selbst auf eine gute Art und Weise mögen und wissen, was sie wert sind. Denn sie sind unbezahlbar!
Lustgewinn und Unlustvermeidung: Das ist etwas, was wir in der kindlichen Entwicklung bereits sehr früh erkennen können und was Du ganz sicher auch von Dir selbst gut kennst. Bereits im Bauch empfindet das Kind Lust und Wohlbefinden oder Unwohlbefinden. Dies differenziert sich im Säuglingsalter immer mehr heraus. Wir suchen zunehmend nach Dingen oder Situationen und Handlungen, die in uns ein gutes Gefühl auslösen. Die unsere Lust steigern, uns wohlig machen und die bestimmte Neurotransmitter in unseren Körpern zum Sprudeln bringen und damit unser Belohnungssystem füttern und dafür sorgen, dass wir solche Dinge immer wieder erleben wollen.
Genuss ist purer Lustgewinn! ☺️
Andersherum ist es so, dass wir immer wieder und schon sehr früh versuchen Handlungen, Situationen oder Beziehungen zu vermeiden, die uns in Stress versetzen, sich nicht gut anfühlen, uns überfordern oder aufwendig erscheinen. Wir brauchen Stimulanz, um uns zu entwickeln und die Natur hat es für uns so eingerichtet, dass wir unseren Hintern hoch kriegen, wenn die Handlungen oder das Ergebnis zu guten Gefühlen oder Vorteilen führen. Sachen, die dies nicht (oder nicht unmittelbar) tun, schieben wir auf oder ignorieren sie gar.
Nun kennst Du alle vier psychischen Grundbedürfnisse und hast vielleicht schon beim Lesen darüber nachgedacht, wie diese bei Dir oder Deinen Kindern ausgeprägt sind. Wir funktionieren alle so, dass wir diese Bedürfnisse in unseren Leben bedienen wollen und müssen. Ich würde mich freuen, wenn Dir dieses Wissen dabei helfen kann in Deinem alltäglichen Erleben hinter die Kulissen von Verhalten zu schauen. Auch wenn meine Ausführungen zugegebener Maßen an manchen Stellen verkürzt dargestellt sind, damit sie nachvollziehbar bleiben und Dich die Komplexität nicht überrollt. Du hast jetzt einen Schlüssel in der Hand, um Dein Verhalten und Empfinden aufzudröseln und nicht mehr von dem Punkt zu kommen, dass Dein Gegenüber "aus dem Nichts" komisch reagiert und das alles überhaupt nicht zu verstehen ist. Ich verspreche Dir, mit etwas Übung und dem Wunsch Verhalten wirklich verstehen zu können, wird es euch so massiv helfen, viel besser miteinander umzugehen.
Seitdem ich vor vielen Jahren dieser Thematik begegnet bin und mich nun schon einige Zeit tiefer damit beschäftige, sind so viele tolle Dinge in meinem Leben passiert. Ich verstehe mich so viel besser. Und ich kann viel leichter Abstand zu den Verhaltensweisen meiner Kinder, meines Partners, meiner Kolleg*innen, etc. einnehmen und meine eigenen Emotionen zurücknehmen und damit genauer hinschauen, was da gerade bei dem anderen passiert und dass ich ganz oft gar nichts damit zu tun habe. Das möchte ich an Dich und Dein Umfeld weitergeben. Viel Spaß beim tiefer Schauen und Kennenlernen. Das ist so wertvoll. Probiert es aus!
In Liebe, Katja
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