Umgang mit Herausforderungen
Manchmal gibt es diese Zeiten, in denen einfach alles zu viel ist, oder? Der Job läuft nicht optimal, irgendwie zäh oder Dir fehlt einfach die Motivation. Vielleicht gibt es dort aber auch gerade zu viele Aufgaben und Abgabezeiten, die Dich unter Druck setzen. Zuhause steckt auch der Wurm drin: die Kinder sind zum wiederholten Male krank, sind nörgelig oder wollen einfach nicht in die Schule oder in die Kita gehen. Oder sie haben einfach einen "ordentlichen Rappel". Das sind so Zeiten, in denen Du scheinbar immer wieder vor neuen Herausforderungen stehst und Dir die Frage stellst, wie Du das alles überhaupt schaffen sollst. Wie Du mit all dem Deine Ideen von Erziehung und dem, wie Du Dir das Leben vorstellst, leben sollst. Das fühlt sich eng an. Fremdbestimmt. Demotivierend. Einfach nur sche**e. Du bist dann noch schneller müde, fühlst Dich erschöpft und vielleicht auch manchmal überfordert. Der Berg an Aufgaben und Verantwortlichkeiten scheint in diesen Zeiten einfach nicht kleiner zu werden und damit kaum bewältigbar.
Laut dem Konzept der Salutogenese, von Aaron Antonovsky, braucht der Mensch drei wichtige Säulen in seinem Leben, um sich gesund, fit und wohl zu fühlen (Kohärenz). Er braucht das Verständnis über die Situation, d.h. äußere und innere Prozesse müssen verstehbar sein, im besten Fall vorhersehbar. Der Mensch braucht ebenfalls das Gefühl handlungsfähig zu sein. Selbstwirksamkeitsempfinden spielt hier eine zentrale Rolle. Er muss das Gefühl haben ausreichend Ressourcen (innere und äußere) zur Verfügung zu haben, um in der Handlung zu bleiben und die Herausforderungen bewältigen zu können. Die letzte Säule ist der Sinn der Situation. Der Mensch ist ein Sinn-Wesen. Er kann große Belastung verkraften, wenn er einen Sinn in der Bewältigung erkennen kann. (In Prüfungssituationen zum Beispiel daran festzuhalten, dass man danach die Ausbildung geschafft haben wird. Oder Geburten: der Prozess der Geburt gehört dazu, dass das Kind auf diese Welt kommen kann, die Strapazen nimmt die Mutter dafür hin, weil sie weiß, wofür das ganze geschieht. )
Sind diese drei Säulen ausreichend ausgebildet (für eine spezifische Situation), dann ist das Stressempfinden und damit auch die erschöpfende und vielleicht krankmachende Situation weniger belastend. Das bedeutet aber auch, dass nicht die Krise das Problem ist, sondern die Tatsache, dass mindestens eine dieser Säulen ins Wanken geraten ist.
Die gute Nachricht ist: Für jede einzelne Säule kannst Du selbst Verantwortung übernehmen!
Verstehbarkeit: Du kannst herausfinden, was gerade passiert und die Dinge benennen und lernen sie anzunehmen. Es ist nicht zielführend Dich daran aufzureiben, dass Dein Kind nicht in die Schule will, denn es ist ja bereits so. Dein Kind will nicht in die Schule! Daran kannst Du erstmal nicht viel tun. Aber Du kannst verstehen lernen, dass es für diesen Unwillen Gründe gibt.
Das bedeutet, dass Du Situationen, die Du nicht so leicht verändern kannst und die bereits eingetroffen sind, nur noch schwerer werden, wenn Du dich gegen sie wehrst. Versteh mich nicht falsch. Ich meine damit nicht, dass Du Dich Deinem Schicksal ergeben sollst, den Kopf in den Sand stecken sollst und nun nur noch hoffst, dass es vorbei geht. Ich meine mit annehmen, dass die Dinge, die Dich stressen ja schon existieren. Leichter ist es also, wenn Du es schaffst Ja dazu zu sagen. "Ja, mein Kind will gerade nicht in die Schule! Dafür wird es Gründe geben." Vielleicht merkst Du schon bereits, dass diese Sätze sich (mal von den Konsequenzen abgesehen) deutlich leichter anfühlen, als die Herangehensweise "So ein Scheiß! Das kann doch nicht wahr sein, warum stellst Du Dich denn so quer und machst nicht mit!?"
Der letzte Ausspruch steuert Dich direkt in eine Sackgasse. Da kommt schnell Hilflosigkeit und vielleicht sogar Ohnmachtsempfinden. Dann fällt das Denken furchtbar schwer und es geht Dir automatisch noch viel schlechter. Die erste Aussage, in der Du einfach nur anerkennst, was ist, gibt Dir die Möglichkeit im Gespräch zu bleiben. Natürlich ist das furchtbar schwer, wenn morgens alle im Stress sind und das Kind auf der Bremse steht. Aber Du wirst sehen, dass es Dir viel leichter fällt im Gespräch und Kontakt mit dem Kind zu bleiben, wenn Du selbst nicht in der Hilflosigkeit steckst. Vielleicht kannst Du etwas ähnliches sagen wie: "Ich sehe Deine Not. Ist es möglich, dass Du heute in die Schule gehst und wir uns am Nachmittag Zeit nehmen, um herauszufinden, weshalb Du nicht gehen kannst? Ich möchte Dir helfen und Dich verstehen, das kann ich nur, wenn wir darüber reden und ich mehr Informationen über Deine Situation erfahre." Du wirst überrascht sein, was in dieser Situation passieren kann, wenn das Kind sich gesehen fühlt. Verstehbarkeit bedeutet aber nicht nur Annahme, sondern eben auch im direkten Sinne, dass Du verstehen kannst, was da gerade in Deinem Leben passiert. Dafür ist es notwendig, dass Du eine Art Bestandsaufnahme machst, um herauszufinden, was gerade eigentlich das Problem und was die Rahmenbedingungen sind. Also, was ist da gerade los und warum könnte das eine solche Herausforderung für Dich sein?
Handlungsfähigkeit: wenn der Berg der Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Informationen zu groß ist und wir viel zu dicht an ihm dran stehen, dann scheint er einfach nicht bewältigbar. Wir können nicht erkennen, wo wir beginnen sollten, um ihn abzubauen. Viele Menschen sind allein damit so überlastet Prioritäten zu setzen, dass sie am Liebsten die Hände in die Taschen stecken würden und sich in die andere Blickrichtung drehen möchten. Wieder andere suchen aus dieser Position heraus nach Umwegen, um den Berg herum. Das könnte Erfolg versprechen, aber meistens führt es nur dazu, dass sie in Vermeidungsverhalten verfallen und die Aufgaben, die gelöst werden müssen, eben auf eine andere Art ignorieren. Schauen wir uns noch einmal die beiden Reaktionsmöglichkeiten von oben an. Die Reaktion, die in die Gegenwehr zur Situation geht, machte alles nur schwerer und engt den Blick für Handlung sehr stark ein. Wenn ich meinen Fokus darauf lege, dass ich etwas nicht haben will, dann stehe ich quasi so dicht vor dem Berg, dass ich mit der Nase andauernd gegen die harte Felswand stoße. Die Reaktion, die Verständnis aufzeigt hingegen bietet direkt Lösungsansätze an. Die Haltung der Annahme bringt Dich in die Situation, dass Du den Blick heben und weiter sehen kannst. Aus dieser Perspektive und der geringeren Erregung deiner Amygdala (Du erinnerst Dich? Das ist unser inneres Alarmsystem.), kannst Du mehr erkennen, bist in der Lage logisch zu denken, weil Dein Gehirn nicht emotionengeflutet ist. Manchmal reicht es schon ein paar tiefere Atemzüge zu machen, um Dich noch mehr zu beruhigen. Manchmal braucht es etwas mehr. Überlege zum Beispiel, was Du gerade als einfache erste Handlung machen kannst, damit Du einfach nur mit etwas startest. Welche Entscheidungen würdest Du gerade gern treffen, wenn es Dir egal wäre, was andere denken (natürlich nur solche, die Dich mit anderen in Beziehung bleiben oder kommen lassen.). Mache kleine Schritte. Du musst keinen Marathon laufen. Einfach nur in Bewegung bleiben. Wenn Dein System gerade sehr gestresst ist, dann fehlen ihm Sicherheit und Orientierung. Die beiden psychologischen Grundbedrüfnisse, die hinter den Säulen stecken. Aber auch Dein Autonomiesystem ist betroffen, denn Du möchtest ja zurück in die Kontrolle und Wirksamkeit kommen, die dir gerade fehlen. Also sorge für kleine Erfolgserlebnisse, in dem Du aus den wichtigen Aufgaben und Entscheidungen diejenigen auswählst, bei denen eine erfolgreiche Lösung sehr wahrscheinlich scheint. Und dann spüre in die Erleichterung hinein, die Du nach der Bewältigung spürst. Vergiss dabei aber nicht, dass Du trotz aller "Langsamkeit" und Achtsamkeit die Aufgaben und Entscheidungen nicht aus den Augen verlierst, die unbedingt gelöst und getroffen werden müssen.
Sinn: Bei dieser Säule geht es darum für Dich einen tieferen Sinn zu finden, weshalb Du gerade durch dieses Tal gehst. Wofür wirst Du es schaffen, diese Situation zu bewältigen? Für mich sind das meistens meine Kinder und die Beziehungen zu ihnen. Beruflich ist es mein Streben möglichst viele angehende Erzieher*innen dafür zu begeistern, welch wundervolle und verantwortliche Aufgabe sie in der Praxis für so viele Leben tragen werden. Wofür stehst Du Deine Alltagsherausforderungen durch? Einen Sinn zu sehen, setzt Deine momentane Situation in einen größeren Kontext. "Ja, im Moment scheint es schwer zu sein. Aber es lohnt sich, weil ich dadurch folgendes erreiche/ umsetze/ vorlebe...." Du kannst hier einsetzen, was auch immer Dich antreibt. Es ist quasi Dein Motivator. Und manchmal hilft mir auch der Gedanke, wenn ich tief im Sumpf stecke, dass mein Problem durch das Fenster eines Flugzeugs kaum zu erkennen sein wird.
Diese drei Säulen helfen Deinem Gehirn in die sogenannte Kohärenz (siehe oben) zu kommen. Ein Zustand, an dem sich die Dinge leicht und verständlich anfühlen. Diesen kohärenten Zustand brauchen wir möglichst oft, um gesund zu sein, sowohl körperlich, als auch seelisch. Kohärenz sorgt für Homöostase. Das ist der Zustand in dem sich unser Gehirn im Gleichgewicht fühlt. Es sucht permanent nach dieser Form von Ordnung und Verlässlichkeit. Dann fühlt es sich wohl.
Wie sind diese drei Säulen gerade bei Dir ausgeprägt? Wackelt es an irgendeiner Stelle? Was könntest Du jetzt gerade tun, damit sich Dein Gehirn gerade mehr in Homöostase wähnt? Was würde Dir gerade helfen, damit Du dich sicherer fühlst?
Danke für Deine Zeit und Aufmerksamkeit!
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