So viele Male habe ich in einer Situation auf eine Art und Weise reagiert, wie ich es eigentlich nicht wollte. Danach habe ich mich geärgert, weil ich es doch besser wusste. Und das machte das schlechte Gewissen noch größer. Stehst Du auch manchmal vor der Frage, weshalb Du reagierst wie ein Elefant im Porzellanladen, obwohl Du Dich doch für ein ganz anderes Verhalten entscheiden wolltest? Natürlich passiert das unabhängig von Deinem Alter oder dem Deines Gegenüber. Aber gerade Kinder schaffen es zielsicher uns in Situationen zu bringen, in denen wir Geduld oder Kopf verlieren. Ich möchte heute drei Sachen mit Dir teilen, die mir bisher geholfen haben, mit solchen Situationen gelingender umzugehen und ich hoffe, dass sie Dir auch helfen werden.
1) Finde Klarheit über das, was Du eigentlich willst!
Als mir klar wurde, dass ich oft gar nicht so genau wusste, was ich in solchen Situationen eigentlich wollte und dass mich genau diese Unklarheit häufig dazu brachte eine gewisse Unsicherheit zu empfinden und auszustrahlen, da merkte ich, dass uns allen das nicht besonders gut tat. Umso unklarer ich in meiner Absicht war, desto weniger konkret konnte ich auf meine Kinder reagieren. Damit meine ich nicht, dass ich aus einer erhobenen Machtposition meine Kinder dirigieren wollte. (Auch wenn das Leben für mich sicher manchmal leichter wäre, wenn sie einfach machen würden, was ich WILL!) Es ist eher der erkennbare Rahmen, der mir und meinen Kindern dann fehlte. Das selbe erkannte ich, als ich Kindergruppen begleitete und erkenne es heute noch, wenn ich unterrichte. Veit Lindau drückt das folgendermaßen aus: "die klarste Absicht geht in Führung." Damit ist gemeint, wenn ich weiß, was ich will oder was mir gerade in dieser Beziehung wichtig ist, dann leite ich durch eine "natürliche" Autorität ("neue Autorität" nach Haim Omer), nicht durch Macht, sondern durch Präsenz und Beziehung. Oder wie Jesper Juul es ausdrückte: als Erwachsener zum Leitwolf zu werden und durch Liebe zu führen. Dabei legte er auf etwas großen Wert, was auch mir in den letzten Jahren immer wichtiger wurde: Gleichwürdigkeit.
Zurück zur Klarheit: wie findest Du heraus, was Du willst? Dafür musst Du über die Beziehung zu den Kindern nachdenken, die Du begleitest.
-Was willst Du ihnen durch Deine Beziehung zu ihnen mitgeben? (Anpassung, Gehorsam und Schamempfinden oder Vertrauen und Selbstwertgefühl [ich treibe es absichtlich auf die Spitze, damit Dir klarer wird, was ich meine.] hier geht es also auch um die Werte, die Du den Kindern mitgeben willst!)
- Wie sollen sie sich mit Dir fühlen? (Beschämt, ohnmächtig und klein oder sicher, gesehen und geliebt?)
- In welcher Beziehung möchtest Du mit ihnen sein? ("Ich lasse mir doch nicht von ihnen auf der Nase rumtanzen!" oder "Wir haben die selbe unantastbare Würde!"- mir ist absolut klar, dass diese Einstellung im echten Leben für viel Diskussion sorgt. Ein weiteres Thema für einen eigenen Artikel "der Umgang mit Gegenwind auf der Suche nach meinem eigenen Weg".)
- Was geht für Dich gar nicht und warum ist das für Dich nicht tragbar? (Hier geht es um die worst case Fälle. Die "no gos", mit denen Du auf gar keinen Fall leben willst. Z.B. geschlagen werden, belogen werden, etc. Doch bleib da nicht stehen, sondern kläre für Dich, weshalb Dir das wichtig ist. Welcher Wert ist für Dich nicht verhandelbar?)
Wenn Du diese Fragen geklärt hast und Du sicher bist, dass diese Antworten für Dich passen, dann wird Dein Handeln bereits an Klarheit gewinnen. Nicht über Nacht und nicht durch einmaliges ausprobieren. Das alles braucht Übung, Du wirst dafür Verantwortung übernehmen dürfen, Dich an Deine Antworten zu erinnern und Dein Verhalten daraufhin überprüfen müssen, ob Du wirklich nach dem gehandelt hast, was Du tun wolltest. Dein "altes" Verhalten besteht aus Gewohnheiten und die lassen sich nicht so einfach abschütteln. Also übe und überprüfe, damit Du herausfindest, wo Du noch nachjustieren kannst.
2) Bewusste Wahrnehmung üben.
Wie im vorangegangenen Artikel angedeutet, sehen wir immer nur einen Teil des Menschen vor uns, aber nie seine ganze Persönlichkeit. So ist es im Außen und so ist es auch in Bezug auf uns selbst. Wir wissen nie ganz konkret, wie wir auf andere wirken, wie bei ihnen ankommt, was wir tun. Wir wissen oft auch nicht, was wir in einer Situation wirklich fühlen und denken und noch viel öfter wissen wir nicht, weshalb das so ist. Deshalb ist es wichtig, dass Du lernst Deine Wahrnehmung bewusst zu lenken, zu fokussieren oder zu weiten und Dich selbst zu reflektieren, wenn Du eine gute Entwicklungsbegleitung sein möchtest und in guten Beziehungen leben willst. Finde heraus, was Du fühlst, wie Du reagierst und frag Dich auch immer wieder, weshalb Du so reagierst. Spüre in Deinen Körper. Und frag nach, wie andere (auch die Kinder) Dich wahrnehmen. Du wirst erstaunt sein, was sie Dir alles sinnvolles zurückmelden können.
3) Üben, wenn es Dir gut geht.
Mit diesem Punkt ist gemeint, dass Du immer wieder üben darfst, Dinge neu und damit anders als bisher zu machen. Das funktioniert nicht immer alles sofort und automatisch. Gerald Hüther sagt, dass eine neue Gewohnheit immer einladender wirken muss, als die alte. Ansonsten setzt Dein Hirn sich nicht in Bewegung. Also sei Dir darüber bewusst, weshalb Du anders denken und handeln möchtest und übe so oft Du kannst. Sei dabei geduldig mit Dir selbst. Verzeih Dir, wenn Du doch wieder in Deinen alten Mustern reagierst. In gewisser Weise ist das sogar eine wundervolle Chance! Glaubst Du nicht? Doch! Denn wenn Du "Fehler" machst, dann bekommst Du die beste Chance dafür Dich und Dein Verhalten zu überprüfen und Dich wieder auf Kurs zu bringen. Und wenn Du tatsächlich etwas getan hast, das entgegen Deiner eigentlichen Werte geht, dann bitte um Entschuldigung! Dich zu entschuldigen ist beziehungsorientiert und wichtig für Dich und das Kind! Hättest Du Dir als Kind gewünscht, dass Erwachsene zu Dir kommen und Dich um Entschuldigung bitten? Ich hätte mir genau das gewünscht und deshalb tue ich das regelmäßig bei meinen Kindern, wenn ich mal wieder etwas versemmelt habe.
Übe, wenn es Dir gut geht bedeutet aber auch, dass Du ausschließlich Handlungssicherheit entwickeln kannst, wenn Du Dein neues Verhalten in Situationen geübt und gestärkt hast, die nicht brenzlig sind, in denen es um nicht viel geht. Unser Gehirn mag Stress nicht besonders. Wenn eine stressige Situation eintritt, dann handelt nicht der Teil in Dir, der sich für bestimmte Werte des Umgangs entschieden hat, sondern unser Reptiliengehirn. Das heißt so, weil wir diesen Teil des Gehirns schon sehr lange in unserer evolutionären Entwicklung besitzen und es vergleichbar mit dem Gehirn von Reptilien ist. Hier sind nur "einfache" Handlungsmuster möglich: Flucht, Angriff, Versteinern (und hier sitzen alle unsere körperlichen Bedürfnisse, die uns antreiben). Du hast im Eifer des Gefechts also keinen guten Zugang zu Deinen logischen Entscheidungen. Deshalb ist es so wichtige diese in entspannten Situationen wie einen Muskel zu trainieren.
So kannst Du zum Beispiel unter der Dusche darauf achten, wie sich das Wasser auf Deiner Haut anfühlt (bewusste Wahrnehmung) oder Du achtest beim Frühstück mal besonders auf den Geruch und Geschmack Deines Essens und lauscht in Dich hinein, was das in Dir auslöst. Was fühlst Du bei diesem Geruch? Welche Erinnerungen verbindest Du damit? Fühlst Du Dich gerade wohl?
Oder Du nimmst die Übung aus dem letzten Artikel, in dem es um einen forschenden, positiven Blick auf die Kinder ging, die Du begleitest. All diese kleinen Übungen helfen Dir dabei in stressigen Situationen Klarheit und Ruhe zu bewahren, wenn Du es schaffst, Dich an Deine Werte zu erinnern und mehr bei Dir zu bleiben. Aber das braucht eben Übung und den Wunsch es anders zu machen. Oder eben zu wissen was Du eigentlich willst.
Ich bin gespannt, welche Erfahrungen Du damit machst!
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